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Channel: Rosalies Midlife Crisis
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Nun ist er also da, dieser Donnerstag, 17. Oktober 2013, vor dem ich mich insgeheim schon lange gefürchtet habe. Ich habe jeden Gedanken daran verdrängt, weil es ein so bitterer Tag ist. 

Mick Jagger hat ihn erlebt, seinen Siebzigsten! Obwohl er alles getan hat, was Gott verboten hat. Allen ungesunden Exzessen zum Trotz ist er dieses Jahr 70 geworden. Wieso Du nicht? Du hast in Deinem ganzen Leben nicht eine einzige Zigarette geraucht! Verdammt, das ist so ungerecht! 

Was wäre gewesen, wenn alles anders gekommen wäre? Wir hätten Dich heute besucht und Du hättest mit den Enkelkindern herumgealbert. Du bist so stolz auf sie gewesen. Wir hätten Wein getrunken, gelacht und diskutiert. Und Du hättest SMS und Telefonanrufe gekriegt und spontane Besuche.
 
Zehn Jahre ist es her, seit wir mit Freunden und Verwandten in einer Waldhütte gefeiert haben. Ich habe nächtelang an einer Multimedia-Darbietung gearbeitet. Mein ganz persönliches Geschenk zu Deinem 60. Geburtstag. Ein Panoptikum aus Deinem Leben – aus unserem Leben - mit Videosequenzen und  Fotos und untermalt mit Anekdoten und Musik. Es hat unzählige Stunden gedauert, all das zusammenzuschneiden und mit der passenden Musik zu unterlegen und mein alter Freund und ich sind fast verzweifelt, weil der Computer sich an den grossen Mediadateien ständig verschluckt hat… Wenige Stunden vor dem grossen Fest sind wir fertig geworden. Ich hatte nur zwei Stunden geschlafen, aber das war es wert! Es war ein Highlight!
 
Unvergessen die Videosequenz, als Du in Coral Bay mit der Angelrute im T-Shirt bis zum Bauchnabel im türkisblauen Meer standest und plötzlich in Zeitlupe samt Rute komplett im Wasser verschwunden bist. Der Angelhaken hatte sich am Meeresboden verheddert und Du wolltest ihn wieder lösen! Und kurz darauf hast Du diesen komischen dünnen Sägefisch an Land gezogen! Was haben wir gelacht! Ich habe die Szene mit  Men at Work untermalt.  "Land down under" erinnert mich noch heute an diese geniale Reise, als wir zum letzten Mal en famille unterwegs gewesen  und  mit dem Mobilhome durch Westaustralien gefahren sind. Du, Sis und ich  abwechselnd am Steuer, draussen vierzig Grad, endlose schnurgerade Strassen, orangerote Erde und stahlblauer Himmel. Und im CD-Player lief diese Best-of-CD mit Schweizer Mundartsongs. Sis und ich haben lauthals mitgesungen mit  „Züri West“, Polo Hofer, Patent Ochsner und Co. Und abends haben wir in den Caravan Parks australischen Roten getrunken. Aus dem Tetrapak!  Unvergessliche Erinnerungen!
 
Du hattest Dich sehr über mein Geschenk gefreut. Es wäre schwierig geworden, das zu toppen. Vermutlich hätten wir das Werk  dieses Jahr noch einmal abgespielt. Sehr wahrscheinlich ergänzt mit den Highlights der letzten Dekade. Aber es sollte nicht sein…
 
Manchmal denke ich, dass es Dir ganz recht war, auf dem Höhepunkt abzutreten. Du hast immer gesagt, dass Du nicht alt werden wirst und wir haben immer gehofft, dass es nicht stimmt… Du hast ein tolles Leben gehabt. So viele schöne Orte bereist, so viele liebe Freunde gehabt und Du hast Dir bis zum letzten Tag viel Zeit für Dein liebstes Hobby genommen. In gewisser Weise warst Du ein Egoist. Aber ich kann Dich so gut verstehen. Du hast diese Zeit für Dich gebraucht und ich glaube, ich weiss warum... 
 
Auf den letzten Fotos, die ich von Dir gemacht habe, hast Du gelächelt. Du hattest diese Ausstrahlung, die nur  Menschen haben, die ein glückliches Leben hatten und mit sich selbst im Reinen sind. Menschen, die ihre Träume gelebt und nicht aufgeschoben haben.  Du bist glücklich gegangen und ich bin froh, dass Dir ein Ende als pflegebedürftiger Mensch erspart geblieben ist. Das hätte so gar nicht zu Dir gepasst und wäre noch viel schwerer zu ertragen gewesen als Dein früher Tod. Aber trotzdem tut es unheimlich weh und ich denke jeden Tag daran, was Du noch alles mit Deinen Enkelkindern  hättest unternehmen können. Du hättest ihnen noch so viel beibringen können! Du warst der beste Fischer von allen und all die Tricks hast Du mit ins Grab genommen, bevor Du sie an die Jungs weitergeben konntest. Und die Pfifferlinge im Wald werden andere sammeln. So vieles erinnert uns an Dich und wenn im Radio ein Stück von Peter, Sue und Marc gespielt wird, breche ich in Tränen aus. Und manchmal ertrage ich kaum die Fischerboote auf dem See...  und manchmal kann ich es immer noch nicht richtig fassen, dass es Dich nicht mehr gibt! 

Bitte nimm es mir nicht übel, dass ich so selten an Dein Grab gehe. Ich tue mich so schwer damit. Ach, ich weiss, Du würdest es verstehen. Ist ja nur ein Platz auf einem Friedhof. Du bist eh schon längst wo anders und ich hoffe, dass wir uns eines Tages wiedersehen. 
 
Happy Birthday, Vater! Du fehlst! 

 
 

 

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